EHEC
____________________
Erreger und Übertragung
Das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) ist eine Krankheit, bei der die Blutgefässe, die Blutzellen und die Nieren angegriffen werden. Meist wird HUS durch Ehec-Bakterien ausgelöst. Natürlicherweise können diese Keime im Darm bzw. Stuhl von Wiederkäuern (Rinder, Schafe, Ziegen etc.) vorkommen. Zu einer Übertragung auf den Menschen kommt es vor allem durch verunreinigte rohe Lebensmittel, aber auch über Trink- und Badewasser oder bei direktem Kontakt mit infizierten Tieren oder Menschen.
|
Der Ehec-Erreger ist keine Mutation
Bislang ist die Keimquelle des Ehec-Erregers unbekannt. Nicht verwunderlich, denn das Aufspüren gleicht der Suche nach der Nadel in einem Heuhaufen. Das Institut für Lebensmittelsicherheit der Universität Zürich verfolgt die Entwicklungen rund um den Ehec-Erreger deshalb genau.
Die Vorgänge in Norddeutschland haben die Konsumenten verunsichert. Manch einer überlegt es sich gut, ob er den Kopfsalat kaufen soll oder nicht. Das Vertrauen in die Lebensmittelhygiene hat gelitten. Dabei ist es normal, dass auf Gemüse eine Vielzahl von Bakterien zu finden sind.
«Jedes Produkt hat seine eigene Flora. Wie wir Menschen auf unserer Haut eine Flora haben, gibt es das auch auf Lebensmitteln», erklärt Roger Stephan, der das Institut für Lebensmittelsicherheit und -hygiene an der Universität Zürich leitet, im Gespräch mit «tagesschau.sf.tv». Allerdings sei diese Flora in der Regel nicht krankmachend. Wenn man also ein Produkt roh esse, dann seien gezwungenermassen auch Bakterien dabei.
«Wir brauchen Bakterien»
«Wird das Produkt nicht erhitzt, gelangen diese Bakterien in den menschlichen Körper. Wird es gewaschen, dann werden die Bakterien in der Regel so verdünnt, so dass sie, falls vorhanden, unter die krankmachende Schwelle fallen», schiebt der Fachmann nach.
Escheria coli, auch bekannt als Kolibakterien, gehören zur normalen Darmflora von Menschen und Tieren. «Wir brauchen Bakterien im Darm, damit die Nährstoffe aus Lebensmitteln überhaupt vom Körper aufgenommen werden können», erklärt Stephan.
Im Normalfall 'nur' Durchfall
Innerhalb dieser Gruppe von Kolibakterien gebe es aber pathogene, also krankmachende Gruppen. «Die Ehec-Erreger, die für den Ausbruch der Krankheitsfälle in Deutschland verantwortlich sind, gehören zu einer Untergruppe. Speziell bei dieser Ehec-Untergruppe ist, dass sie stark krankmachend ist. «Es genügt bereits eine sehr kleine Menge dieser Erreger, welche den Durchfall auslösen können», so Stephan.
Im Normalfall sei dies 'nur' Durchfall. Doch bei etwa 20 Prozent der Erkrankten führe dieser Erreger zu Komplikationen, zum sogenannten hämolytisch-urämische Syndrom (HUS).
Bei den 20 Prozent, die an schwereren Komplikationen leiden, ist der Krankheitsverlauf bei rund 5 Prozent tödlich. Dies sei nichts Aussergewöhnliches, das wisse man aus früheren Krankheitsfällen aus der Vergangenheit. So gab es vor 15 Jahren den bisher grössten Ehec-Ausbruch in Japan in der Hafenstadt Sakai, 500 Kilometer südwestlich von Tokio. Und auch damals konnte die Ursache dafür festgestellt werden.
Ehec-Erreger hat drei Bausteine
«Der Ehec-Erreger ist keine Mutation», betont Institutsleiter Stephan. Für den Fachmann ist eine Mutation ein bestehender Erreger, der sich verwandelt. «Dank der Gen-Analyse des Erregers wissen wir aber, dass dieser auf anderem Weg zustande gekommen ist», sagt der Fachmann.
Dieser spezielle Ehec Ausbruchsstamm setzt sich aus drei Bausteinen zusammen: «Der 1. Baustein ist ein Vertreter einer anderen krankmachenden Koli-Gruppe. Er bildet das Hauptgerüst des Stammes. Der 2. Baustein ist die Fähigkeit des Erregers Gifte zu bilden. Der 3. Baustein stammt aus Erbmaterial, das dafür verantwortlich, dass der Ehec-Erreger resistent gegen Antibiotika ist», klärt Stephan auf.
Keimträger Wiederkäuer
Als die ersten Ehec-Krankheitsfälle auftauchten, war die Rede davon, dass spanische Gurken mit Gülle kontaminiert wurden. «Gülle als direkte Keimquelle, das halte ich für unwahrscheinlich», sagt Institutsleiter Roger Stephan. «Es ist unwahrscheinlich bei Einhaltung der Rahmenbedingungen, dass ein Bauer Gülle auf ein Feld ausschüttet, auf dem Gemüse wächst», betont er. Grundsätzlich sei das Reservoir des Ehec-Erregers, also ein Ort an dem er auftreten könnte, gross. Zudem müsse der Erreger nicht zwingend krank machen.
«Alle Wiederkäuer sind Quellen für die Ehec-Erreger: Kühe, Schafe, Ziegen. Es können aber auch Wildwiederkäuer wie beispielsweise das Reh den Ehec-Erreger in sich tragen», erklärt Stephan. Die Wiederkäuer bilden ein riesiges Reservoir. Der Erreger befindet sich im Darm dieser gesunden Tiere.
Ehec gelangt via Kot in die Aussenwelt
«Die Ehec-Erreger treten nur über den Kot in die Aussenwelt. So ist es möglich dass der Erreger in Gülle vorhanden ist. Anderseits ist es auch möglich, dass der Erreger, der über den Kot ausgeschieden wurde, in Gewässer gelangt. Der Ehec-Erreger kann nur über den Mund aufgenommen werden», so der Fachmann.
Bei pflanzlichen Erzeugnissen könnte es also eine direkte Kontamination mit Gülle sein, oder eine Verseuchung mit Wasser, das mit dem Erreger belastet ist.
«Bei tierischen Lebensmitteln kann es zu einer direkten Kontamination mit dem Erreger kommen. Bei der Schlachtung ist es möglich, dass der Erreger bei ungenügenden hygienischen Bedingungen das Fleisch kontaminiert. Dann kann der Ehec-Erreger auf diese Weise in den Nahrungskreislauf der Menschen gelangen», führt der Fachmann aus. Eine weitere Möglichkeit sei die Kontaminierung bei der Milchgewinnung, besonders wenn die Milch bei der Verarbeitung nicht erhitzt werde.
Blick in die Glaskugel
«Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Art und Weise wie der Erreger entstanden ist, immer wieder auftreten kann. Das hat es in der Vergangenheit gegeben und das wird auch in Zukunft so sein», betont der Experte.
Die Lebensmittelsicherheit wird im europäischen Umfeld durch verschiedenste präventive Massnahmen im Rahmen der Herstellung der Lebensmittel gewährleistet. Die Schweiz verfolgt die gleiche Strategie wie die EU.
«Im Gegensatz zur EU werden in den USA Produkte häufig dekontaminiert», erklärt Stephan. So werde beispielsweise zum Waschen von Salat chloriertes Wasser eingesetzt.
Richard Müller, Mittwoch, 8. Juni 2011
|
Vier Wochen Ehec-Rückblick
1. Mai 2011: Das Robert Koch-Institut (RKI) datiert die erste blutige Durchfallerkrankung auf diesen Tag. Auslöser ist das Bakterium Ehec (enterohämorrhagisches Escherichia coli). Viele Patienten erleiden die schwere Verlaufsform HUS (hämolytisch-urämisches Syndrom).
21. bis 23. Mai: Die Patientenzahlen steigen rasant. Bis zum 5. Juni werden 630 HUS-Fälle und 1601 bestätigte Ehec-Infektionen gemeldet.
22. Mai: Das RKI vermutet rohes Gemüse als Überträger.
25. Mai: RKI und Bundesinstitut für Risikobewertung warnen vor dem Verzehr von Salatgurken, Blattsalaten und rohen Tomaten insbesondere in Norddeutschland.
26. Mai: Forscher identifizieren den Keim für den aktuellen Ehec-Ausbruch (EHEC-Typ O104). Ein Schnelltest wird entwickelt. Spanische Salatgurken sind mit EHEC-Erregern belastet. Erst später stellt sich heraus, dass es sich dabei nicht um den gerade enttarnten Keim handelt.
2. Juni: Forscher entziffern das Genom des aggressiven Erregers.
5. Juni: Sprossen aus einem Betrieb in Niedersachsen geraten in Verdacht. Erste Proben untermauern das nicht.
|