Vaia con Dios
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Pflanzenheilkunde
Phytotherapie
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Die Pflanzenheilkunde ist älter, erfogreicher, ungefährlicher, günstiger und menschenfreundlicher als jeder Zweig der sogenannten, heutigen Schulmedizin.
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Arzneipflanzen - Heilkraft oder Hokuspokus ?
Die gängige Praxis, Krankheiten durch Verabreichung von bestimmten Substanzen zu behandeln, zieht sich durch die ganze Kulturgeschichte. Dabei besteht grundsätzlich kein Unterschied, ob die Substanz der Wahl aus dem Kräutergarten oder der Synthesemaschinerie eines Pharma-Konzerns stammt; die chemische Keule ist lediglich die abgeleitete Applikationsform. Ausgerechnet in einer modernen, aufgeklärten Zeit wie der heutigen ist aber ein zunehmender Trend zum Einsatz altbekannter, teilweise sagenumwitterter Heilarzneien aus dem Pflanzenreich bei gleichzeitiger Verteufelung schulmedizinischer Erkenntnisse auffällig. Haben wir es dabei mit einer Rückbesinnung auf überholte Traditionen zu tun oder können pflanzliche Wirkstoffe das chemische Arsenal gegen Krankheit und Wehwehchen ergänzen? Dann wäre es an der Zeit, deren Wirksamkeit abzusichern!
Der Leichnam liegt aufgebahrt auf dem Altar. Eine abscheuliche Mixtur aus den Säften tropischer Gewächse hatte ihn in einen todesähnlichen Tiefschlaf versetzt. Doch nun beginnt die Zeremonie, die ihn zum Leben zurückerwecken wird. Unter rhythmischen Bewegungen zu trommelbegleitetem Singsang, beides selbst durch die Top-Ten-Videos der Woche an Eindrucksfülle kaum zu überbieten, gibt der Hohepriester ein schwerverständliches Genuschel zum Besten und verabreicht der leblosen Gestalt vor sich ein ebenfalls nach überliefertem Geheimrezept aus Zauberkräutern hergestelltes Gegengift. Der Leichnam erwacht zum neuen Leben und erhebt sich vom Altar. Doch er wird nicht mehr so sein wie vorher - das lange Verweilen im todesähnlichen Koma hat sein Gehirn so stark geschädigt, daß sein Schicksal es ist, fortan als willenloses Wesen auf den Plantagen seines Herren zu arbeiten - als lebender Toter....als Zombie!
Diese Anwendung der Naturheilkunde ist vielleicht etwas weit hergeholt. Häufiger begegnet man sicher dem Anblick eines Selbstmedikators, der mit einem Tuch über dem Kopf über der zweckentfremdeten Salatschüssel hängt und eine Geräuschkulisse bietet, die den Beobachter sich fragen läßt, ob der Proband nur seine Erkältung auskuriert oder dabei ist, im Kamilleaufguß zu ertrinken. Während wir hier noch eine gezielte Anwendung vor uns sehen, treibt der Wirbel um die Heilkraft der Pflanzen in Form von Säften, Aufgüssen oder Salben, die einfach allumfassend für die Gesundheit, "zur Entspannung" oder für das "innere Wohlbefinden" angepriesen werden, im wahrsten Sinne des Wortes Blüten. Bei aller Weltfremdheit, die in solchen Anwendungen vermutet werden kann, darf nicht verschwiegen werden, daß sich die Medizin jahrhundertelang ausschließlich auf die Anwendung von Arzneimitteln pflanzlicher und - wenn auch in geringerem Ausmaße - tierischer Herkunft gestützt hat und andere Kulturkreise heute noch so verfahren. Dass es keinen vernünftigen Grund gibt, den Einsatz pflanzliche Wirkstoffe pauschal als unwissenschaftliche Spinnerei zu verurteilen, zeigt, daß eine Reihe hochwirksamer Therapeutika auch heute noch der floristischen Medizin entnommen sind - denken wir nur an die Herzglykoside!
Die Evolution der Naturheilkunde
Das Wissen über Pflanzen und ihre mögliche Anwendbarkeit, das sich aus jahrhundertelanger Erfahrung angesammelt hat, könnte ganze Datenbanken füllen, und wenn man sich einen ahnungslosen Urmenschen vorstellt, der inmitten der vor Artenvielfalt strotzenden Natur zwischen wirksamen, wirkungslosen und giftigen Pflanzen unterscheiden muß, fragt man sich, woher all das Wissen überhaupt stammt. Was blieb dem Anwender ohne Labor in der Frühzeit anderes, als das langwierige Beobachten und Sammeln von Erfahrungen? Wenn das Verzehren von Kamilleblüten einmal als entkrampfend und wohltuend empfunden wurde, so fiel das sicher noch nicht großartig auf. Stellte sich dieser Zusammenhang aber oft ein, war der betreffenden Pflanze bald diese Wirkung zugeschrieben, so daß sie fortan auch gezielt verabreicht wurde.
Ebenso mußte es irgendwann auffallen, daß nach dem Genuß von Fliegenpilzen rauschartige Zustände auftraten und daß signifikant viele Stammesmitglieder das Zeitliche segneten, nachdem sie im Rahmen einer Obstkur Tollkirschen (Atropa belladonna, Fam. Solanaceä) gegessen hatten - also nichts anderes als solide empirische Forschung, wenn auch ohne Aufklärung der zugrundeliegenden molekularen Wirkmechanismen.
Wird erstmal an eine Sache geglaubt, sind der Mystifizierung Tür und Tor geöffnet. Zur Liste der aus Erfahrung applizierten Pflanzen gesellten sich mehr und mehr solche, die ihre Beliebtheit der morphologischen Ähnlichkeit mit einem Organ verdankten: Die "Signaturenlehre" hielt Einzug! Fortan wurden Lungenkraut (Pulmonaria officinalis, Fam. Boraginaceä), Leberblümchen (Hepatica nobilis, Fam. Ranunculaceä) und Milzkraut (Chrysosplenium alternifolium, Fam. Saxifragaceä) zur Behandlung der namensgebenden Organe verabreicht. Wenn auch viele Ansichtsweisen auf die Dauer nicht lange haltbar waren, überdauerten doch die meisten bis heute.
Die alleinige Begründung, schon Oma hat damit ihren Hexenschuß geheilt und Vater seine Blasenschwäche, reichte noch Anfang des Jahrhunderts völlig aus, mit derselben Pflanze das Wachstum der Kinder zu unterstützen. Mit der modernen Medizin ging das Interesse an Heilpflanzen vorübergehend zurück. Vielmehr lag es plötzlich im Trend, gegen jedes Ziepserchen ein passendes Medikament in Form von Tabletten, Tropfen oder Zäpfchen zur Hand zu haben, und der Glaube an eine übernatürliche Heilkraft, die vorher den Kräutern zugeschrieben wurde, wechselte zu den pharmazeutischen Präparaten. Das dahinterstehende Verhalten blieb indes dasselbe. Da der moderne aufgeklärte Mensch partout nicht einsehen will, daß zwischen einer Substanz in der Natur und derselben im Labor synthetisiert kein Unterschied besteht, konnte eben diese Diskussion zu einem heilkundlichen Glaubenskrieg ausarten. Es ist erstaunlich, wie verbreitet immer noch die Auffassung ist, alle Stoffe aus der Natur seinen völlig ungefährlich, gesund und heilsam, während das "chemische Zeug" schlecht ist und verteufelt gehört - eine Naturstoff- oder Biochemie gibt es also danach gar nicht, da Chemie ja somit im Gegensatz zur Natur steht. Es darf spekuliert werden, ob diese Scheuklappen-Rückwärts-Denkweise eine weitere Facette der Flucht vor zu viel Aufklärung ist, die viele ansonsten sich modern gebende Menschen zur Esoterik, Astrologie oder in die Arme von Sekten treibt.
Arzneistoffe aus Pflanzen
Dem unkritischen Glauben an die Kraft der Natur steht die zielgerichtete Anwendung pflanzlicher Wirkstoffe gegenüber. Auf die Herzglykoside wurde in diesem Zusammenhang schon hingewiesen. Es handelt sich bei ihnen um ähnlich strukturierte Verbindungen aus verschiedenen Pflanzen. Am bekanntesten bezüglich dieser Inhaltsstoffe sind Digitalis-Arten (Fam. Scrophulariaceä), sie kommen aber auch beim Frühjahrsteufelsauge Adonis vernalis (Ranunculaceä), dem Oleander oder Rosenlorbeer (Nerium oleander, Fam. Apocynaceä) und dem Maiglöckchen (Convallaria majalis, Fam. Convallariaceä) vor. Aufgebaut sind diese Moleküle aus einem steroidähnlichen Grundgerüst, das zusätzlich einen ungesättigten Lactonring trägt und Aglykon genannt wird und einem Oligosaccharidanteil, der teilweise seltene Zucker enthält. Die Herzwirksamkeit von Digitalis purpurea wurde im 18. Jahrhundert von den englischen Ärzten E.Darwin und W.Withering entdeckt und beschrieben. Die Dosierungsanleitungen sind noch heute gültig (was auch darin begründet liegt, daß man sich bei diesem Medikament gar nicht großartig verschätzen darf!).
Die Wirksamkeit der Herzglykoside beruht auf der Hemmung der Na+/K+-ATPase durch Bindung an das Membranprotein auf der Außenseite. Digitalis pupurä, der Rote Fingerhut, ist der bekannteste Lieferant der Herzglykoside. Mit dem intrazellulären Anstieg des Natrium-Spiegels ist die Herzmuskelzelle gezwungen, gegen ein anderes Kation als Kalium auszutauschen, wenn sie die Natrium-Ionen loswerden will. Als Lösung bietet sich das Na+/Ca++-Antiport-System an, das Natrium ausschleust und Calcium ins Zellinnere bringt. Da Calcium in Muskelzellen die Kontraktion herbeiführt, ist das Resultat eine Steigerung der Kontraktion der Herzmuskulatur. Damit ist der Einsatz von Digitalis und vergleichbaren Wirkstoffen bei Herzinsuffizienz, die sich ja in einer Verminderung der Kontraktionsfähigkeit der Herzmuskulatur äußert, einsichtig.
Für Nicht-Insuffiziente wäre dieses ionale Szenario bedenklich bis tödlich; in der schmalen therapeutischen Breite liegt auch für die Patienten durch mögliche Überdosierung eine Gefahr.
Eine geschichtsträchtige Niedere Pflanze ist Claviceps purpurea, ein Schlauchpilz, dessen Mycel an Getreideähren parasitiert und einen eigenen Namen trägt: Secale cornutum oder das Mutterkorn. Die infizierten Gräser bilden anstelle von gesunden Körnern schwarze, gebogene Dauerstadien des Pilzes, Sklerotien genannt, die auf den Erdboden fallen und überwintern.Im kommenden Sommer wachsen auf ihnen trommelschlegelförmige Stadien, in deren Köpfchen sich die Asci bilden, jene Strukturen also, in denen die Meiosporen entstehen, welche wiederum die Wirtspflanzen infizieren. Die schwarzen Sklerotien gelangen bei der Ernte einfach mit ins Korn, so daß bei starkem Befall das Mehl einen hohen Gehalt an Mutterkornalkaloiden enthält.Diese toxischen Substanzen haben in der Vergangenheit zu epidemieartigen Vergiftungswellen geführt, die man einer Seuche zuschrieb und auf den wohlklingenden Namen “St.Antonius-Feuer” taufte. Durch Verengung der Blutgefäße und die verminderte Zirkulation kommt es zu Gangränen bis hin zum Absterben der Gliedmaßen. Außerdem führt die Vergiftung mit den Inhaltsstoffen dieses Pilzes bei Schwangeren zu Fehlgeburten. Während verbesserte Sortierungstechniken diesen Unhold weitgehend aus der normalen Ernte verbannt haben, macht man sich die Wirkstoffe des Pilzes andererseits zunutze und produziert jährlich 20 Millionen Tonnen Mutterkornalkaloide, die aus Sklerotien auf eigens dafür angelegten Roggenfeldern wachsen. Die Roggenblüten werden maschinell mit Sporensuspensionen beimpft. Sowohl das Krankheitsbild des St.Antonius-Feuers als auch die therapeutische Anwendung der Mutterkornalkaloide beruht auf ihrer strukturellen Ähnlichkeit zu Noradrenalin, Dopamin und Serotonin und somit auf ihrer Affinität zu a-Adrenorezeptoren. Dadurch führen sie einerseits durch Rezeptorenblockade zur Erschlaffung kontrahierter Gefäßmuskulatur, andererseits zur Kontraktion der glatten Muskulatur (allerdings in Abhängigkeit von dessen Eigentonus). Die Stimulierung von Dopamin-Rezeptoren im Zentralnervensystem führt jedoch zu Übelkeit und Erbrechen, den typischen Nebenwirkungen. Zur Behandlung von Migräne, bei Parkinson-Syndrom und zur uterinen Blutstillung (vgl.: Auslösung von Fehlgeburten!) haben sich diese Präparate dennoch bewährt.
Eine Arzneipflanze, deren Wirkstoff eher aus der Cytogenetik als aus der therapeutischen Anwendung bekannt ist, ist die Herbstzeitlose (Colchicum autumnale), ein Liliengewächs, das im Frühjahr auf fruchtbaren, etwas feuchten Wiesen seine vegetativen Teile entwickelt und im Herbst blüht. Da der Pflanze dann die grünen Blätter fehlen, kann sich die Blüte nur aus Vorratsstoffen aufgebaut haben, wie auch die ganze Pflanze ihren Lebensunterhalt jetzt nur noch aus gelagerten Reserven bestreitet. Diese Vorratskammer ist eine tiefliegende Knolle, die mit der Pflanze seitlich in Verbindung steht. Die violette Blüte ist wie die einer Tulpe gebaut, allerdings mit der Besonderheit, daß die sechs Blütenblätter unten zu einer langen Röhre verwachsen sind, die gewissermaßen den fehlenden Blütenstiel ersetzt. Durch diese Röhre erstrecken sich drei fadenförmige Griffel, die von dem tief im Boden liegenden Fruchtknoten ausgehen, und an ihrem oberen Ende entspringen die Fäden der sechs Staubblätter. Alle Teile des Vegetationskörpers enthalten das Alkaloid Colchizin, das, wie im Fall des Mutterkorns, die Pflanze erst einmal sehr unbeliebt gemacht hat, da es bei Mensch und Haustier zu schweren Vergiftungen geführt hat. Um den Bestand auf der Wiese gering zu halten, wurden früher im Frühjahr die grünen Teile tief abgestochen, so daß die Pflanze keine neuen Baustoffe mehr bilden konnte und schon im zweiten Jahr geschwächt war, wenn sie überhaupt überlebte. Der Samen der Pflanze liefert jedoch große Mengen an Colchizin, das in der Naturheilkunde gegen Gicht, Rheuma und Wassersucht Verwendung findet. Daneben dürfte unter Biologen bekannt sein, daß diese Substanz außerdem benutzt wird, um Zellteilungen zu unterbinden und auf diese Weise polyploide Zellen herstellen zu können.
Wie so häufig gehen auch hier wieder zwei scheinbar zusammenhanglose Erscheinungen auf dieselbe Ursache zurück, nämlich die Tatsache, daß Colchicin sich an Tubulin bindet und damit verhindert, daß das zuvor vervielfältigte Chromosomenmaterial auf zwei Tochterzellen verteilt werden kann. Es verbleibt vielmehr im einzigen und wiederentstandenen Kern der nichtgeteilten Zelle. Doch nicht nur die Teilungen von Zellen beruhen auf Mikrotubuli, sondern auch deren Bewegung. Um nun endlich erklären zu können, was das gichtgeplagte Gelenk im großen Onkel davon hat, dass Mikrotubuli blockiert werden, muß man wissen, daß die lapidare Erklärung "Harnsäure" bei weitem nicht ausreicht, einen Gichtanfall zu charakterisieren, denn wieder einmal ist bei der Genese einer "Zivilisationskrankheit" das unzivile Vorgehen des Immunsystems entscheidend beteiligt: nach dem Ausfall von Harnsäurekristallen im befallenen Gelenk finden sich nämlich Leukozyten in großer Anzahl am Ort des Geschehens und phagozytieren die Kristalle, als wäre es ein Infektionserreger. Das Phagosom, in dem sich der Fremdkörper befindet, verschmilzt mit einem Lysosom, das aggressive Substanzen wie Proteasen enthält und eigentlich alles verdauen sollte - sofern es lebt und aus Proteinen besteht. Ein unverdaulicher Kristall verhält sich jedoch wie ein anorganischer Klotz und führt nach einiger Zeit zum Aufplatzen des Phagolysosoms, so daß die Proteasen nun die Zelle andaut, die das kaum übersteht.
Bei der Zerstörung der Zelle werden nun sowohl die normalen Zellinhaltsstoffe frei, die chemotaktisch weitere Leukozyten anlocken, die Proteasen, die nun das extrazelluläre Gewebe wie beispielsweise das Gelenk angreifen und auch das unschuldige Harnsäurekristall, das erneut von einem ahnungslosen Leukozyten aufgenommen werden kann, womit sich das Szenario aufschaukelt. Entscheidend für das Krankheitsgeschehen ist also die Beweglichkeit der Leukozyten, die auf der Funktion der Mikrotubuli beruht, und genau diese werden ja durch Colchizin gehemmt.
Gesundheit aus dem Garten
Während wir mit den im vorigen Absatz besprochenen Pflanzen konkret einzelne Wirkstoffe vor uns hatten, deren Mechanismus man genau kennt, ist durch das Repertoire der Pflanzen, die aus dem Garten geholt, komplett oder in einzelnen Teilen gekocht, zerkrümelt oder als Aufguß serviert werden, kaum durchzublicken. Nicht immer ist der Mechanismus der Wirksamkeit bekannt.
Einigermaßen vertrauenerweckend sind noch Beispiele, bei denen das Spektrum der Leiden, gegen die eine Pflanze angeblich helfen soll, auf einen Nenner zu bringen ist. So wird die Malve (Malva vulgaris und Malva grandifolia) gegen Gastritis, entzündliche Erkrankungen der Blase und des Darms sowie der Mundhöhle empfohlen. Es ist also ein Inhaltsstoff zu vermuten, der entzündungshemmend und krampflösend wirkt. Die Goldrute (Solidago virgaurea, Fam. Asteraceä) hat sich dagegen einen guten Ruf bei allerlei Nierenleiden erobert und wird dementsprechend auch zur Entwässerung eingesetzt. Hinter dieser Wirkung könnte also ein Inhaltsstoff stecken, der die Glomeruluskapillaren weitet oder das antidiuretische Hormon hemmt.
All das bedarf aber einer gewissen Skepsis, vor allem, wenn man in einem einschlägigen Werk solche blumigen Beschreibungen liest, daß alle seelischen Empfindungen über die Niere abreagiert werden, so als ob diese im Blut gelöst wären und durch die Glomerulusmembran gepreßt oder aktiv über empfindungsspezifische Carrierproteine in den Primärharn sekretiert werden würden und daß man bei allen seelischen Belastungen, wie dem Tod eines nahen Angehörigen, unbedingt Goldrutentee trinken sollte. Beliebt sind ebenfalls Mischungen verschiedener Arzneipflanzen, bei dessen Rezeptur man gar nicht mehr durchblickt, was dabei jetzt eigentlich wie wirken soll, und man fragt sich, wie unsere Vorfahren darauf gekommen sind, daß gewaschene, kleingeschnittene Hirtentäschel (Capsella bursa_pastoris, Fam. Brassicaceä) in 40%igem Obstbranntwein, der zehn Tage in Herdnähe steht, äußerlich angewandt gegen Muskelschwund hilft, wenn man gleichzeitig vier Tassen Frauenmantel (Alchemilla vulgaris, Fam. Rosaceä)_tee über den Tag verteilt trinkt. Entschieden zu weit geht wohl auf jeden Fall auch die Idee, eine Teemischung aus Ehrenpreis, Labkraut, Schafgarbe, Brennessel, Löwenzahnwurzeln und Wiesengeißbart sei gegen Leukämie hilfreich.
Andere Länder - andere Pflanzen
Das Anwenden von Arzneipflanzen und deren Inhaltsstoffe hat sich in verschiedenen Kulturen konvergent entwickelt und hat mancherorts das Zepter nie abgegeben. Während man die magisch anmutenden Rezepturen heimischer Wunderheiler einfach so hinnimmt, finden sich dagegen häufig Forscher, die an den Wirkungsmechanismen exotischer Pflanzen arbeiten.
So wurde vor kurzem berichtet, daß die Chinesen schon seit über 2500 Jahren die Wurzeln der Kapoubohne (Pueraria lobata, Fam. Fabaceä) gegen Alkoholismus einsetzen. Da die Einnahme des Pflanzenpräparats das Verlangen nach äthanolischen Getränken senkt, birgt diese ostasiatische Leguminose Anwendungs-möglichkeiten, die auf der Hand liegen. Für dahingehende Versuche mußte der mittlerweile laborbewährte Syrische Goldhamster (Mesocricetus auratus, Fam. Cricetidä - das ist keine Arzneipflanze!) herhalten. Diese wurden kurzerhand mittels 15%iger Äthanollösung zu Alkoholikern gemacht, deren relativer Alkoholkonsum jeden noch so trinkfesten Studenten dagegen wie ein Kommunionskind aussehen ließen.
Während des Versuchs bekamen die Saufhamster wahlweise Wasser oder Alkohol zum Trinken. In der Tat wählten sie Wasser, wenn ihnen zuvor Kopouwurzelextrakt verabreicht worden war. Wurde der Extrakt abgesetzt, stieg der Alkoholkonsum wieder auf das Ausgangsniveau an. Die Forscher wiederholten den Versuch mit verschiedenen extrahierten Inhaltsstoffen der Wurzel. Nur ein bestimmtes Isoflavonderivat und ein glykosyliertes Derivat waren wirksam.
Als Vitamin-C-Bombe gilt in Indien, Südchina und auf dem malaiischen Archipel die Frucht des Amlabaums (Phyllanthus emblica, Fam. Euphorbiaceä). Ein meist um die 10 Meter hohes Holzgewächs, dessen dünne Zweige dicht mit kleinen Blättchen belaubt sind. Die runden, im reifen Zustand gelblichen Steinfrüchte erreichen etwa 3 cm Durchmesser. Außer Vitamin C, dessen Gehalt in der Größenordnung der Hagebutte liegt, finden sich noch phenolische Verbindungen. In der Volksmedizin Pakistans und Indiens wird die frische Frucht als Abführmittel, zur Entwässerung und gegen Husten empfohlen, teilweise auch gegen Skorbut und Gelbsucht. Getrocknet gilt die Frucht als wirksam gegen Durchfall, während der Fruchtsaft bei Augenentzündung verabreicht wird. Interessanterweise galten nicht näher genannte Teile von Phyllanthus emblica im mittelalterlichen Europa und Indien als wirksam gegen Krebs.
Während vieles wiederum nicht näher nachprüfbar ist, leuchtet aufgrund des hohen Ascorbinsäuregehalts die Wirksamkeit gegen Skorbut ein. Erinnert man sich an Linus Pauling, so könnte auch die Anti-Tumor-Wirkung so zu begründen sein. Zumindest schützt nach neueren Untersuchungen ein wässriger Fruchtextrakt kultivierte Knochenmarkzellen vor der karzinogenen Wirkung von Schwermetallsalzen. Ebenfalls Vitamin C begründet soll die Stimulation des Immunsystems durch interferon_induzierte NK_(natürliche Killer_)Zellen sein, die im Versuch bei tumorimplantierten Mäusen nach Zusatz getrockneter Früchte zum Futter nachweisbar war.
Eine weitere im Verbreitungsgebiet bedeutende Nutzpflanze ist der Indische Maulbeerbaum (Morinda citrifolia, Fam. Rubiaceä), der ursprünglich im australischen Queensland beheimatet war, heute aber sowohl im Küstenbereich des Indischen Ozeans als auch in der polynesischen Inselwelt zu Hause ist. Für die enorme Arealvergrößerung gibt es zwei Gründe. Einerseits verdirbt das Fruchtfleisch im Wasser schnell, doch sind die Samen gewissermaßen hochseetüchtig und vermögen weite Strecken zu bewältigen. Treiben sie an Land, keimen sie rasch aus und wachsen zu einem Strauch oder Baum heran.
Andererseits brachten Polynesier schon vor 1500 Jahren die Pflanze auf immer neue Inseln. Auf diese Weise erreichte sie schließlich sogar Hawaii, wo sie unter dem Namen "Noni" bekannt ist. Die Früchte der Sammelsteinfrucht werden bei Diabetes, Leber- und Milzerkrankungen, Menstruationsstörungen und Nierenleiden eingesetzt, der Fruchtsaft zum Gurgeln bei Hustenreiz empfohlen. Ausserdem werden die Blätter bei Wurmbefall und die Wurzel gegen hohen Blutdruck verschrieben. Auch dieser Pflanze wird eine Anti-Tumor-Wirkung zugeschrieben. Immerhin zeigte ein Chloroformextrakt aus den Wurzeln von Morinda citrifolia eine deutliche Hemmung des ras-Proteins, ein guaninnukleotid-bindendes Protein, das auffallend oft in menschlichen Tumorzellen aktiv ist.
Fazit: Genauso schlau wie vorher?
Es läßt sich also festhalten, daß pflanzliche Wirkstoffe therapeutisch gegen Krankheiten eingesetzt werden können und Erfolge zeigen. Das hätte auch niemand bestritten, denn entscheidend für die Wirksamkeit eines Stoffes, egal auf welchem Gebiet, ist nicht seine Herkunft, sondern die Existenz eines Mechanismus, mit dem er eine Wirkung erzielt. Selbstverständlich sind es immer definierte Inhaltsstoffe, die eine Wirkung erzielen, und nicht irgendwelche Zauberkräfte, schon gar nicht die alleinige Tatsache, daß irgendetwas "natürlich" ist. Teilweise sind die Kenntnisse über die Heilwirkungen von Pflanzen erfahrungsbedingt. Ein nicht unerheblicher Teil der schulmedizinisch eingesetzten Medikamente entstammen Pflanzen und sind aus dem Praxisalltag nicht mehr wegzudenken. Zu bedenken ist dabei aber, daß gerade solch hochwirksame Arzneistoffe enthaltende Pflanzen aus demselben Grund oft sehr giftig sind. Insofern ist die oft belächelte Selbstmedikation mit Heilpflanzen gar nicht viel ungefährlicher als die modernere Spielart, bei jedem Wehwehchen die Hausapotheke leerzuräumen. Die Schwierigkeit in der Beurteilung, ob der Einsatz naturheilkundlicher Verfahren sinnvoll ist, liegt in der Unkenntnis der Wirkungsmechanismen begründet. Oft sind tropische Pflanzen dahingehend besser erforscht als heimische Kräuter, die seit Jahrhunderten traditionell verabreicht werden.
Wahrscheinlich ist an einer vorhergesagten Wirkung etwas dran, wenn eine gewisse Logik zwischen den zu behandelnden Symptomen zu erkennen ist und nicht allzu vielfältige und zusammenhanglos anmutentende Krankheitsbilder zu lindern versprochen wird. Mit Vorsicht zu genießen sind aber Wundermittel, die beispielsweise gleichzeitig gegen Herzbeschwerden, Schlaflosigkeit, eitrigen Husten, Hitzewallungen, Schweißfüße, Potenzprobleme und Kopfläuse helfen sollen. In diesem Sinne wünscht BiOkular "Wohl bekomm's" bei der Einnahme der täglichen Stinkmorchel-Weißdorn-Tropfen.
Oliver Radtke
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