UNO
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Wer spioniert in Genf ?
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Schweigen im Palais des Nations: X hört mit
Spionage bei den Vereinten Nationen in Genf – Uno will Aufsehen vermeiden
Am europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf sind Abhörgeräte gefunden worden. Wer in Genf spioniert, wird nicht geklärt. Die Uno zieht es vor, sich in Schweigen zu hüllen.
Am 4. April 2006 führen Elektriker im Salon C 108 im Palais des Nations in Genf Reparaturen aus. Plötzlich entdecken sie verdächtige Kabel, die mit einer Steckdose verbunden sind, welche in einem Fensterrahmen auf der Höhe des Heizkörpers installiert ist. In einem dekorativ banalisierten Kästchen entdecken sie ein Holzteil, hinter dem viel Elektronik steckt. Weitere Kabel führen durch eine Wand hindurch zu einer ähnlichen Installation im Salon 1, dem Nebenzimmer.
Untersuchungen mit Röntgenstrahlen bestätigen: Es handelt sich um ein ausgeklügeltes Abhörsystem, wie es bereits 2004 im Salon français bei Restaurationsarbeiten entdeckt worden war. Damals geriet die Sache durch ein Leck in die Medien, doch diesmal sollte die Affäre streng geheim bleiben.
Diese neuen Systeme haben nicht mehr viel gemeinsam mit den guten alten Mikrofonen, die in Blumentöpfen stecken. Bei diesen neuartigen Abhörgeräten wird die Elektronik durch eine Batterie alimentiert, die ans Stromnetz angeschlossen wird. Wenn die Batterie geladen ist, hört die elektrische Aktivität auf, was die Lokalisierung schwermacht. Zudem wird der Apparat ferngesteuert. Dieser speichert die Daten und übermittelt sie mittels extrem kurzer Stösse («burst system») in einem Radius von 100 bis 150 Metern. «Aber die Signale können gut empfangen werden, allein schon, wenn man im Korridor vorbeigeht», versichert ein hoher Beamter des schweizerischen Sicherheitsdienstes, der anonym bleiben will.
Kenner meinen übereinstimmend, dass die Kosten für die Installation rund 300 000 Franken betragen haben dürften, nämlich 100 000 Franken pro Apparat. Was den Sicherheitsdienst aber beunruhigt: Das Rekognoszieren der Örtlichkeiten und die Installation der Apparate dürften mindestens zwei Tage erfordert haben, was eine interne Komplizenschaft vermuten lässt. Zudem brauchten die Täter neben genügend Zeit auch einen Grund, um sich am Ort aufzuhalten. Was den Saal C 108 betrifft, könnte dessen komplette Renovation im Jahr 2005 den nötigen Vorwand geliefert haben. Aber seit der Affäre 2004 waren alle Salons dreifach abgesperrt, was die Hypothese «interne Komplizen» stützt.
Die Entdeckung von drei Abhörsystemen innert zweier Jahre schreckte den Sicherheitsdienst auf. Dieser beschloss, eine kleine Spezialistengruppe zu schaffen, die mit dem Standardmaterial für die Spionageabwehr ausgerüstet wurde. Hierzu gehörten ein Frequenzanalysegerät (System Oscar) und ein sogenannter Non-Linear-Junction-Detector Orion. Letzterer ist ein Sende-Empfangs-Gerät, der Halbleiter mittels Mikrowellen eruiert und auch «schlafende» Apparate aufdecken kann.
Spezialisten werden fündig
Die Handhabe dieses Detektors ist den Liebhabern von Spionagefilmen bekannt. Ein Agent fährt mit einem an einer Stange befestigten «Teller» über eine Wand. Was die Filme allerdings nicht zeigen: Die Operation ist delikat und zeitraubend. Allein für ein Zimmer von 140 Quadratmetern wie den Salon français sind 3 bis 4 Tage nötig. Nach drei Wochen Schnellkurs wird das neue Team am 11. Januar 2007 losgeschickt. Die erste praktische Übung findet im Salon C 108 statt. Und siehe da: In einem Kasten mit Schiebetüren wird in einem mit Schiebetüren versehenen Möbel erneut ein Abhörsystem entdeckt. Sechs Monate später, am 7. Juni, kommt ein weiteres ähnliches System zum Vorschein, und zwar hinter einem kleinen Schreibtisch im tschechischen und slowakischen Salon.
Für die Spezialisten stellt sich zuerst einmal die Frage, was überhaupt ausspioniert werden sollte. Als Ziel kommt die Abrüstungskonferenz in Frage. Die ehrwürdige Salle du Conseil, das heisst der grosse Saal, in dem ab 1936 der Völkerbund tagte, beherbergt heute die Abrüstungskonferenz; die Kulissengespräche der Delegationen finden in den benachbarten Salons statt. Doch laut dem algerischen Botschafter Idriss Jazaïry, der seit 2004 eine wichtige Rolle spielt und die Konferenz auch präsidiert hat, «finden alle Diskussionen in grösstmöglicher Transparenz statt. Die sechs Vizepräsidenten, die sich in diesen Salons treffen, informieren ihre Ländergruppen jeweils über die geführten Diskussionen. Ich sehe das Interesse nicht, diese Gespräche auszuspionieren.»
Doch in den Sälen finden auch viele diskrete Treffen statt, deren Inhalt während mindestens 20 Jahren als vertraulich klassifiziert wird, ähnlich wie alle nicht offiziellen Uno-Dokumente. Ein Beispiel hierfür sind die Befragungen des Gerichts zum tödlichen Attentat auf den libanesischen Staatschef Hariri oder die Diskussionen im Vorfeld des Irak-Kriegs. Ein Nachrichtenspezialist meint deshalb: «Die verwendete Technik und das Risiko, das die Täter eingingen, lassen darauf schliessen, dass der entsprechende Beschluss in dem dafür verantwortlichen Land auf höchster Ebene gefällt wurde; und dass das, worum es ging, die Mühe wert war.»
Die andere Frage ist jene nach der möglichen Täterschaft. Eines ist sicher: Sie muss über hohe technologische Fähigkeiten verfügen. In dem 2004 entdeckten Abhörsystem waren – gemäss dem englischen Experten James Atkinson von der Granite Island Group – Komponenten aus Frankreich, China und den USA enthalten, eine klassische Methode, um die Herkunft zu verwischen. Für den Experten fielen damals vor allem Frankreich, die Vereinigten Staaten und Grossbritannien als Urheberschaft in Betracht. Was die in den letzten Jahren entdeckten Abhörgeräte betrifft, kommen die von uns befragten Experten – aufgrund der Kreuzung zahlreicher technischer und geopolitischer Kriterien – auf eine Shortlist von möglicherweise involvierten Staaten, auf der neben den ständigen Mitgliedern des Uno-Sicherheitsrats (USA, Frankreich, Grossbritannien, China und Russland) auch Nordkorea und Isräl figurieren.
Ein hochrangiger Nachrichtendienstler sagt: «Wenn ich mein Vermögen auf ein Land setzen müsste, würde ich sagen: Isräl. Das Land hat die nötige Technologie, Erfahrung mit gewagten Operationen und das politische Interesse.» Ein Diplomat bei der europäischen Mission findet diese Option plausibel: «Ich war schon öfters über die Informationen erstaunt, über die die isrälische Delegation verfügte. Dies könnte die Erklärung sein.»
Der Sicherheitsdienst der Uno allerdings streitet nach wie vor ab, irgendein suspektes Objekt gefunden zu haben. Ein Verantwortlicher, der anonym bleiben will, hat zwei Stunden mit uns verbracht, nur um uns zu erklären, dass «seiner Kenntnis nach» keine entsprechende Entdeckung gemacht wurde. Der Sicherheitsdienst sei nicht mit der nötigen Technologie ausgestattet und auch nicht entsprechend ausgebildet. Die Kontrolle der Säle gelte primär dem Entdecken von Sprengstoff. «Wenn wir etwas gefunden hätten, wären wir die Ersten, die dies publik machen würden, um unsere Effizienz zu beweisen.»
Der Experte Jacques Baud, Autor einer 2002 erschienenen «Encyclopédie du renseignement et des services secrets», meint dagegen, es gehöre zur Uno-Kultur, kein Aufsehen zu erregen, um die Organisation nicht in Misskredit zu bringen. Deshalb werde kein Mitgliedstaat verzeigt. Aber eine solche Omertà missfällt den Diplomaten, die wir im Rahmen unserer Recherchen konsultiert haben. «Dass Abhörgeräte installiert werden, ist an sich keine Überraschung», sagt ein europäischer Diplomat. «Was aber beunruhigt, ist, dass die Uno die Mitgliedstaaten nicht informiert und dieses Problem auf die leichte Schulter zu nehmen scheint.»
Die Schweiz zeigt «low profile». Das EDA antwortet auf unsere per Mail gestellte Frage, ob es Kenntnis von der Entdeckung von Abhörsystemen habe: «Die Schweiz kann von sich aus keine Untersuchung einleiten. (. . .) Die Organisation müsste beim Gaststaat ein entsprechendes Gesuch stellen.» Unsere Bitte um ein Gespräch blieb unbeantwortet. Ein Kenner aus der Bundesverwaltung kommentiert: «Die Schweiz ist auf dem Laufenden, will sich aber heraushalten.» Und der Pressedienst der Uno in Genf? Er antwortet auf unsere Anfrage knapp: «Wir haben zu diesem Thema keinen Kommentar abzugeben.»
Michel Bührer ist freier Journalist und Buchautor mit Wohnsitz im Kanton Waadt. – Übersetzung des Beitrags durch Christophe Büchi.
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