Krankenhausinfektion
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250'000 Todesfälle pro Jahr in Europa und USA.
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Ein grosses Problem der heutigen Medizin ist die Hospitalisierung von Patienten. Statistisch gesehen, treten in Akutkliniken in der Schweiz 11,6% Krankenhausinfektionen auf. In den USA sind es 5-15%. In deutschen Kliniken infizieren sich jährlich laut groben Schätzungen 800'000 Menschen mit Keimen, bis zu 50'000 sterben daran.
Das ist das Resultat einer internationalen Studie über Spitalinfektionen. Durchgeführt wurde sie in der Schweiz in den den Universitätsspitälern von Basel, Genf, und Lausanne in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Spitalhygiene. Laut einem Mitgliede der NOSO-Gruppe sind die Zahlen vergleichbar mit Zahlen aus den EU-Ländern. Die Resultate der Studie wurden in der vierteljährlich erscheinenden Fachzeitschrift der Swiss-NOSO-Gruppe präsentiert. Dies ist eine Ärzte-Gruppe die sich speziell mit Spitalinfektionen beschäftigt.
11,6 Prozent oder zwischen 10'000 und 50'000 Patientinnen und Patienten sind jährlich von Spitalinfektionen betroffen. Am häufigsten handle es sich um Infektionen nach chirurgischen Eingriffen (30 %) sagte Patrick Francioli, Professor am Lausanner Universitätsspital (CHUV) und Mitglied der Swiss-NOSO-Gruppe, auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda.
„Dieses Resultat überrascht mich nicht, es entspricht den Zahlen in den EU-Ländern“, meinte Professor Francioli. Die Infektionen seien der Preis für den medizinischen Fortschritt. Mit immer komplizierter werdenden Pflegetechniken und Apparaten sei es immer schwieriger, Infektionsrisiken zu vermeiden. Viele Spitalinfektionen basierten nicht auf Fehlern oder Vernachlässigungen von Seiten der Ärzte oder des Pflegepersonals, betont Francioli. Die Zahlen wären im Gegenteil noch höher, wenn nicht bereits alle möglichen vorbeugenden Massnahmen getroffen worden wären.
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Schweizer Fernsehen
7. Mai 2015
70'000 Menschen erkranken jedes Jahr in Schweizer Kliniken und Pflegeheimen an Infektionen. 2000 von ihnen sterben. Jeder dritte Fall könnte aber verhindert werden, glauben die Behörden. Sie haben deshalb eine Strategie entwickelt.
Schuld sind mangelnde Hygiene, hohe Fehlerquoten und überfordertes Personal.
Ausgangspunkt des «Clubs» war der Sohn des berühmten Schauspielers Gérard Depardieu. Nach einer Operation in einem Pariser Spital hat er sich mit einem Virus angesteckt, das schliesslich zu seinem Tod führte.
Doch vorher hatte er noch eine schlagkräftige Patientenorganisation gegründet, die erfolgreich für Hygienemassnahmen in den französischen Spitälern kämpft und so die Zahl der Infektionen bei Operationen reduzieren konnte.
In die gleiche Kerbe wie Depardieu schlägt Erika Ziltener, die Präsidentin des Dachverbands Schweizerische Patientenstellen, im «Club»: «Die Zahl der Spitalinfektionen muss drastisch reduziert werden. Es braucht dazu landesweit verbindliche und international anerkannte Hygienemassnahmen. Ein Fall Depardieu könnte in der Schweiz auch passieren.»
Über 20 Tabletten pro Tag
Auch ein Schweizer Betroffener, Detlev Bandi, kommt zu Wort. Wegen eines Infektes, bei dem er sich im bei einer Operation angesteckt hatte, musste er zwei weitere Male operiert werden. Die Leidenszeit dauerte mehr als eineinhalb Jahre. «Ich musste über 20 Tabletten pro Tag schlucken und war ständig in Therapie. Dadurch sank meine Lebensqualität praktisch auf den Nullpunkt».
Man kann auch auf einem Miststock operieren
Die Fachleute suchen nach Lösungen um solche Fälle künftig zu minimieren. Für Andreas Widmer, Professor für Infektiologie und Spitalhygiene Universitätsspital Basel, ist klar: «Die Infektionsüberwachung in Schweizer Spitälern hinkt dem Standard in Deutschland 15 Jahre hinterher. Das Knowhow ist schon lange da, aber es hapert an der Umsetzung». Zudem erklärt er, was die Hauptursache dieses Problem ist: «80 Prozent der Krankheitskeime hat der Patient bereits auf der Haut. Ein sauberer Operationsaal und saubere Luft, das ist alles kalter Kaffee. Man kann auch auf einem Miststock sehr gut operieren. Doch der Faktor Mensch ist hier das grösste Problem.» Anhand von Checklisten und Antibiotika soll das Infektionsrisiko minimiert werden.
Sparmassnahmen als Boomerang
Bei den Hygienemassnahmen spielt der zunehmende Kosten- und Zeitdruck eine Rolle. «Wenn es um Hygienestandards geht, machen die Spitäler eine Kosten-Nutzen-Rechnung und verfolgen auch ethisch-moralische Ziele», erklärt Markus Hauser, der Direktor des Kantonsspitals Glarus. «Spitäler sollten nicht in eine Position manövriert werden, die sie dazu zwingt Massnahmen ergreifen zu müssen, die dem Spital zwar billiger kommen, aber der Gesellschaft teurer.» So zum Beispiel bei Sparmassnahmen bei der Hygiene, die später zu mehr Infektionen führen könnten. Als Mittel dagegen werden sogenannte Fallpauschalen diskutiert, die von den Kantonen festgelegt wurden. Doch dies bleibt umstritten.
Staender: «Der Patient sollte dem Doktor auf die Finger schauen».
Für Sven Staender, Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin im Spital Männedorf, liegt der Schlüssel zur Lösung im «mündigen Patienten»: «Die Patienten sollen aus ihrer Opfermentalität herausfinden. Er fordert die Patienten auf, wachsam zu sein, dem Spitalpersonal auf die Finger zu schauen und Fehlverhalten zu melden.»
Ärzten sollte man die Angst nehmen
Hanspeter Kuhn, der stellvertretende Generalsekretär des FMH, nimmt die behandelnden Ärzte in Schutz: «Wir kommen am besten weiter, wenn wir eine angstfreie Arbeitsumgebung schaffen. Ausserdem sollten wir ein Entschädigungssystem kreieren, das bei medizinischen Schadenfällen nicht mehr nach dem Fehler fragt. So könnte man Patienten besser entschädigen.»
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