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Freiheit ist in keinem Land der Welt ein selbstverständliches Gut.
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Einige Unterscheidungen zum Thema «Freiheit»
Jeder ist frei, sofern er Bewusstsein hat und entscheiden kann. Die Entscheidungsmöglichkeiten sind immer beschränkt. Aber immer gibt es Handlungs- und Verhaltensalternativen. Ich kann mich zu meinen eigenen Neigungen, Wünschen verhalten. Willensfreiheit, in die so viel hineingerätselt wird, bedeutet ganz einfach, dass ich mich gegen meine eigene Neigungen entscheiden kann. Freiheit gehört zur anthropologischen Ausstattung. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Freiheitsspielräume praktisch eingeschränkt werden oder dass es eine Vielzahl von Theorien gibt – soziologische, ökonomische, biologische, neuronale usw. –, in denen die Freiheit negiert wird. Solche Theorien nehmen sich die Freiheit, die Freiheit wegzuerklären. Unfreiwillig bestätigen sie durch ihre schiere Existenz die Freiheit, die sie sonst leugnen.
Also hat Schiller recht, wenn er sagt: Der Mensch ist frei, und wär' er in Ketten geboren . . .
Man muss sie seine Freiheit schon auch nehmen. Man muss sie wollen. Sie ist auch anstrengend, weil sie mit Verantwortung und Risiken verbunden ist. Man kann sie unter dem starken Druck von Befehlen und dem sanfteren Druck des Konformismus preisgeben. Aber auch dann wird man sie nicht los. Hannah Arendt hat recht, wenn sie im Blick auf die NS-Zeit sagt: Man ist auch für seinen Gehorsam verantwortlich. Zum Freiheitsgebrauch kann Mut gehören, zumindest aber Zivilcourage. Es gehört aber auch dazu, dass man sich selbst wertschätzt. Dass man ein Individuum sein will, es muss ja nicht immer ein unverwechselbares sein. Wahrscheinlich gilt die Faustregel, dass der Freiheitsspielraum stets grösser ist als der, den man nutzt. Aber dieser – grössere – Freiheitsspielraum wird oft verschleiert, wenn Entscheidungen als alternativlos hingestellt werden. «Alternativlos» müsste eigentlich zum Unwort des Jahres gekürt werden.
Freiheit, die von Staat und Gesellschaft geschützt wird
Die liberale und demokratische Gesellschaft schützt die Freiheit des Einzelnen und trifft durch Gesetz und Gewaltmonopol Vorsorge, dass die Freiheit des einen nicht die Freiheit des anderen verletzt. Die damit verbundene Einschränkung der Freiheit ist selbstverständlich, auch wenn sie nicht immer klaglos hingenommen wird. Weniger selbstverständlich aber ist, dass Freiheit in einem Spannungsverhältnis steht zu den Werten der Gerechtigkeit und der Sicherheit. Freiheit führt nicht von sich aus zur sozialen Gerechtigkeit und zur Sicherheit. Man wird im Einzelfall abwägen müssen, was einem wichtiger ist.
Die Sicherheitsdebatten im Zeichen der Terroristenfurcht zeigt, dass eine Mehrheit offenbar gewillt ist, ein immer dichteres Netz von Überwachungen und Freiheitseinschränkungen hinzunehmen – der vermeintlichen Sicherheit wegen. Bei der Gerechtigkeit verhält es sich ähnlich: Wer sie als soziale Gleichheit definiert, wird Freiheiten einschränken, um solche Gleichheit oder Angleichung herzustellen. Nicht erst der sozialistische, auch der fürsorgliche Staat beeinträchtigt die Freiheit. Es wäre schon viel erreicht, wenn man die Dinge wenigstens klar benennt, wenn man also von der Einschränkung der Freiheit zugunsten von Sicherheit und Gerechtigkeit spricht, und nicht davon, dass mit solchen Einschränkungen ein angeblich höherer Sinn von Freiheit erst realisiert würde.
Die staatlicherseits geschützte Freiheit kann in Konflikt geraten mit Sitten und Unsitten in bestimmten gesellschaftlichen Milieus und muss dann auch gegen die dort herrschenden Gepflogenheiten verteidigt werden. Freiheitsschutz bezieht sich auf den Einzelnen und muss unter Umständen auch gegen Milieu und Familie durchgesetzt werden. Zum Beispiel bei der Frauenunterdrückung in muslimischen Kreisen (Zwangsheiraten, Verstümmelung usw.). Ein anderes Beispiel: Im Ökonomischen ist die Unsitte eingerissen, die Wirtschaftsfreiheit zu nutzen, ihre Risiken aber auf die Steuerzahler abzuwälzen. So geschehen in der Finanzkrise. Eigentlich müsste staatlicherseits dagegen vorgegangen werden. Leider aber ist, wie wir gesehen haben, das Gegenteil der Fall.
Freiheit, die mir genommen wird
Die zur Gewährleistung der allgemeinen Freiheit notwendigen Einschränkungen der Freiheit des Einzelnen sollten nur das Handeln betreffen. Überzeugungen, Gesinnungen, Glaube bleiben prinzipiell frei. Das heisst aber auch, dass in liberalen Gesellschaften hingenommen werden muss, dass solche Überzeugungen kritisiert, verspottet und sonst wie zurückgewiesen werden. Das ist für Religionsgemeinschaften, die sich im Besitz absoluter Wahrheiten wähnen, bisweilen schwer erträglich. Und doch muss der Gläubige die Kränkung ertragen lernen, dass sein Glaube auf dem Markt der Meinungen wie andere Meinungen auch behandelt wird. Propheten und ihre Anhänger geniessen keinen Kränkungsschutz.
Freiheit wovon und Freiheit wozu
Das «Wovon» der Freiheit ist allgemeinverbindlich zu regeln und betrifft die Frage: Welche Einschränkungen müssen sein, welche dürfen nicht sein? Das «Wozu» der Freiheit darf hingegen keiner Allgemeinverbindlichkeit unterliegen. Es hängt ab vom jeweiligen Menschenbild, also davon, wer ich sein und wozu ich mich machen will. Das «Wozu» ist existenziell und individuell. Hier soll der Staat nicht hineinregieren. Er besitzt zwar mit Recht ein Gewaltmonopol, nicht aber ein Menschenbild-Monopol. Auch nicht ein sogenanntes christlich-abendländisch-jüdisches.
von Rüdiger Safranski,
geboren 1945, studierte Philosophie, Germanistik und Geschichte in Frankfurt am Main und in Berlin.
Safranski wurde durch Monografien zu Schiller, E. T. A. Hoffmann, Schopenhauer, Nietzsche und
Heidegger sowie durch Abhandlungen über die Romantik, die Globalisierung und das Böse bekannt.
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